Kalte Stille oder wie ich meinen ersten Punkt bekam

Als der Lastwagen den Blick nach rechts freigibt, grüßt mich ein kleines aber helles, rotes Licht vom Fahrbahnrand. Da ist es also passiert, das erste Foto von mir in einem Kleinwagen. Grund zur Freude ist das allerdings nicht. Mit 90 in einer Tempo-60-Zone erwischt zu werden ist dämlich. Besonders dämlich ist es, wenn man diese Strecke seit bald dreieinhalb Jahren regelmäßig fährt und weiß, dass an besagter Stelle oft teure Fotos gemacht werden. 

 

Dahin ist sie, die Vorfreude auf einen verschneiten Ausflug in den Schönbuch. Ersetzt durch ein beklemmendes Gefühl, welches sich aus schmelzendem Kontostand, Ärger über sich selbst und der ängstlichen Neugierde über die anstehende Konsequenz zusammensetzt.

Au Backe! Der Bußgeldrechner sagt im dümmsten Fall einen dreistelligen Betrag voraus. Adieu, ausgewogene Ernährung. Ab jetzt gibt es nur noch Pommes in der Mensa ( mit viel Mayo, weil umsonst) und Spaghetti aglio e olio, denn den neuen Polfilter brauche ich ja noch unbedingt diesen Monat.
Unabhängig von der Höhe des Preisgeldes bekomme ich mein erstes Sternchen ins Flensburger-Sammelheft geklebt. Hoffentlich ist es eins mit Glitzer!

Klassischerweise bekommt ein Schüler einen Strich, wenn er Mist baut. Nach langer Zeit weiß ich nun wieder wie sich das anfühlt: blöd.

Auf dem ersten Wanderparkplatz stelle ich meinen Fluchtwagen ab und entscheide mich für einen von vielen rutschigen Wegen.
Freude über den herrlich verschneiten Wald will irgendwie nicht aufkommen. Der Ärger überwiegt.
So stapfe ich also in die erstbeste Rückegasse (googeln!) und lande in einem knöcheltiefen Schlammloch. Wenn's läuft, dann läuft's!
An dieser Stelle wäre ich am liebsten wieder umgedreht, was man den Fotos auch ansieht.

Doch ich wackle weiter durch den Wald und gelange bald an das Gatter zur Wildruhezone. Es ist knapp zehn Uhr und es liegt noch eine zentimeterdicke Schneeschicht auf dem Querbalken. Demnach war heute noch niemand vor mir hier.
Knirschend drücken meine Füße die ersten Spuren in den unversehrten Schnee. Erst dadurch fällt mir auf wie still es hier ist. Nur meine Füße und ein Kleiber, der kopfüber hängend auf einen Baum einpickt, sorgen für Lärm.

Es ist so leise, dass selbst das Geräusch des hoch- und herunterklappenden Spiegels stört. Habe ich auch noch nie erlebt. Also mache ich meine Kamera mundtot und stapfe voran. 
Von Zeit zu Zeit halte ich an und lausche in den Wald. Nichts. Weit und breit nichts anderes zu hören als Stille. Herrlich.

 

Dann irgendwann rauscht es leise und ich folge dem einzigen Geräusch weit und breit.

Als das Rauschen am lautesten ist, stehe ich auf einer Brücke und blicke ins Wasser. Meine letzten Langzeitbelichtungen liegen zwar nicht weit zurück aber wann ich das letzte Mal aus Wasser Nebel gemacht habe, weiß ich nicht mehr. Motiviert durch diese Idee, laufe ich eine Weile neben dem Bach her und suche seine lauteste Stelle. Unter abgebrochenen, schneebedeckten Ästen finde ich sie in Form eines kleinen Wasserfalls.

In einer Wildruhezone darf man die Wege nicht verlassen. Da ich heute aber eh als Schwerverbrecher gebrandmarkt wurde, wage ich es die drei Meter vom rechten Weg abzukommen und steige ins Bachbett. Bereits nach der ersten Aufnahmen ist klar, dass sich das gelohnt hat. So stehe ich da nun verbotener Weise im Bach und freue mich darüber. Seltsamer Tag.
Noch ein paar Klicks, dann geht es wieder zurück auf den Weg.

Wieder oben angekommen, begegnen mir in regelmäßigen Abständen schwitzende Jogger und Mountainbiker. Somit verschwinden meine Fußabdrücke im Lauf der Zeit zwischen den anderen und die Magie ist dahin.


Zeit zu gehen.
Aber nicht zu schnell.

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