Über den großen Teich - Teil 4: Aus dem Wahnsinn in die Kälte

Moment, da steht doch Kälte aber zu sehen sind orangerote Felsen und wo die sind, ist es nie kalt! Falsch gedacht! Es liegt sogar Schnee!

Doch beginnen wir an dem Punkt, als ich mich in Vegas auf die Interstate 15 begebe, um dem Trubel zu entrinnen.

Die gut 400 Kilometer lange Nord-Süd Strecke führt mich von Nevada durch Arizona nach Utah. Patrick hatte mich schon vor der Reise gewarnt, dass Utah prüde sein kann. Also die Menschen. Voller Erwartungen rolle ich mit 80 Meilen pro Stunde diesem Schlag Menschheit entgegen.

Im Lauf der Fahrt wird die vorbeiziehende Landschaft immer zerklüfteter und karger. Zeitweise sind nur noch Steine in verschiedenen Größen zu sehen. Diese färben sich von orange zu grau und dann wieder zu orange, was mir klar macht, dass ich mich kurz vor meinem Ziel, dem Bryce Canyon befinden muss.

Dafür, dass der Bryce Canyon so beliebt ist, erscheinen mir die Möglichkeiten in seiner Nähe zu übernachten alles andere als gewinnoptimiert. Zwei wenig besuchte Motels und ein General Store locken immerhin ein paar Menschen an. 
Auf meiner ersten Schnuppertour durch den Park erfreue ich mich erstmal daran, dass National Park Week ist und somit keine Eintrittskosten zu bezahlen sind.
Mein schwäbisches Herz lacht vor Freude. 
Beim Autowandern durch den Park lache ich dann im Einklang mit meinem Herz. Die lange Anreise hat sich schon jetzt gelohnt. Zwar ist das Licht nicht geeignet, um brauchbare Bilder zu schießen, jedoch gibt es eine Vorahnung auf das was möglich ist. So entschließe ich mich früh ins Bett zu gehen, damit ich das Morgenlicht im Einklang mit der Einsamkeit nutzen kann.


Der Wecker klingelt, ich schlüpfe in die Stiefel und trete kauend vor die Tür. Sofort fröstelt es mich. Im Auto verstehe ich dann auch warum ich so friere. Gestern waren es in Arizona noch 37°C und heute sind es -1°C in Utah.
Nun spüre ich es am eigenen Leib:
Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Surrend springt der Motor an und mit einem leisen brummeln bewege ich mich Richtung Parkeingang. Als ich am Schalter ankomme, ist dieser noch geschlossen. Macht nix. Ist eh umsonst.

Es folgt ein Witz der Sorte: "it's funny 'cause it's true"

 

Wer quält sich um 7.30 Uhr bei -1°C in einen Canyon?

Ein pünktlicher Deutscher UND ein Bus voller südkoreanischer Renter.

Praktisch zeitgleich erreiche ich mit einem Bus voller Koreaner den Aussichtspunkt, an dem ich in den Canyon steigen will. Dahin ist sie die Ruhe. Die Möglichkeit in den Canyon zu gelangen ebenfalls, da sich die komplette Besatzung des Busses einzeln vor dem Einstieg in den Canyon fotografieren lässt. Geduldig warte ich und betrachte den Canyon von oben. Schon schön aber ich will jetzt dringend auf den Trail. Eine seltene Gefühlsregung macht sich breit: Ich werde ungeduldig.
Die koreanischen Omis nicht.

In bester Laune schnattern sie miteinander und lachen lautstark in die morgendliche Stille hinein. Irgendwann begrabe ich meine Hoffnung noch zeitig in den Canyon zu gelangen und beginne die Gruppe zu beobachten.
Zwei Dinge fallen mir auf:
Zum einen haben alle Omas den gleichen Haarschnitt. Kim Jong Il wäre stolz auf diese Südkoreanerinnen. 
Zum anderen fällt die Körperhaltung auf, die die Fotografierten einnehmen. Bei uns ist diese als "Russenhocke" bekannt. Wladimir Putin wäre stolz.
(Wer eine Bildungslücke hat, kann sie hier schließen: http://www.bento.de/style/russenhocke-als-rap-squat-warum-im-internet-jetzt-alle-hocken-338983/ ) 
So stehe ich nun also als überpünktlicher Deutscher, der sich in schwäbischer Manier darüber freut, dass er in Utah nichts für einen amerikanischen Nationalpark bezahlen muss, um 7.30 Uhr neben einer südkoreanischen Reisegruppe und stelle fest, dass ein Diktator und ein Quasi-Diktator stolz auf diese wären. Ich fühle mich seltsam.

Mit einer gewaltigen Rußwolke verabschiedet sich der Reisebus und hinterlässt mir die ersehnte Stille. Endlich kann ich in den Canyon und darf mich dem traumhaften Anblick hingeben. Wie von selbst zücke ich die Kamera und drücke ab.
Genau das sind diese Momente in denen fotografieren wieder das wird, was es einmal für mich war: Ungezwungen. 
Regelmäßig vergleiche ich die Farbe der Realität mit dem unglaubwürdigen Abbild auf dem Display der Kamera.
Regelmäßig schüttle ich den Kopf, da die Realität nun mal so unglaubwürdig aussieht wie auf dem Display.
Das ganze geht sogar soweit, dass ich nachträglich Farbe aus den Bildern saugen muss, da es sonst zu Schmerzen im Sehnerv gekommen wäre.

Lange begegnet mir niemand und ich stapfe munter durch den roten Staub. Mittlerweile hat die Sonne an Höhe gewonnen, weswegen ich meine Jacke abgelegt habe.

Lautes Lachen kündigt mir dann meine nächste Begegnung an.
Ein älteres amerikanisches Ehepaar kommt mir entgegen. Have you seen E.T.?" ruft mir der Herr der beiden unverblümt entgegen. "Errr...what?" frage ich offensichtlich verwirrt nach. "Watch out for him. He is around the next corner." warnt er mich vor.
"Okay, thank you. I'll keep an eye out." stammle ich noch immer verwirrt heraus.
Hat der nette alte Mann mich gerade vor E.T. der Filmfigur gewarnt? Verdattert laufe ich weiter und überlege.

Nach einer guten Stunde erreiche ich E.T. dann. Von wegen "um die nächste Ecke". Entweder das Ehepaar ist gedopt, ich bin eine Schnecke oder es besteht eine Sprachbarriere.
Unabhängig davon ist E.T. wirklich im Bryce Canyon zu finden. Es ist ein Hoodoo, der mit viel Fantasie, im richtigen Licht und mit dem Wissen über das eigentliche Aussehen des Aliens als E.T. wahrgenommen werden kann. 
Man mag denken was man möchte aber dreht man sich am Fuße des außerirdischen Hoodoos um, so hat man eine beeindruckende Aussicht.
Da ich diese Aussicht mittlerweile mit vielen anderen Menschen teile, wird es Zeit meine Runde zu beenden, um an etwas abgelegenere Stellen des Bryce Canyon zu gelangen.

 

"Bryce Canyon Wilderness Area" steht auf dem Holzschild, welches ich schon nach 10 Minuten Fußmarsch vom Parkplatz aus erreiche. Beim Anblick der schmalen, und verzweigten Wege wird einem unweigerlich bewusst, dass nach diesem Schild wirklich nicht mehr viel Zivilisation zu erwarten ist. Lediglich die Spuren im Schnee deuten darauf hin, dass hier von Zeit zu Zeit jemand vorbei kommt. 
Sehr beruhigend, da es hier Schwarzbären, Klapperschlangen und Pumas gibt. Irgendjemand wird mich im Zweifelsfall also irgendwann finden.

Es führt kein Weg an den Schneebergen vorbei, daher ist es notwendig sie zu durchqueren. Wobei durchqueren hier das richtige Wort ist, denn teilweise sinke ich bis zum Knie in die kalte Masse ein. 
Die Stellen des Weges, an die die Sonne regelmäßig gelangt, sind durch das Tauwasser aufgeweicht und matschig. Schnell beißt sich der Matsch zentimeterdick in das Profil meiner Schuhe.
Am nächsten Schneeberg versuche ich den Ballast wieder abzustreifen, was dafür sorgt, dass der spritzende Schnee in meine Schuhe gelangt. Außen matschig und innen nasskalt. Herrlich.

Ein weiteres Mal schmiere ich den roten Schlamm meiner Schuhe in den Schnee, um sie dann wieder direkt mit Schlamm zu beschmieren. Ein ewiger Kreislauf bahnt sich an...

Bis der Weg mitsamt mir ins Rutschen kommt. Zum Glück Lande ich auf meinem Rucksack und stütze mich mit meiner rechten Hand ab.

Blöd nur, dass ich damit meine Kamera halte...

Mir ist noch nie ein Teil meiner Ausrüstung heruntergefallen. Und eigentlich ist es auch jetzt nicht heruntergefallen, sondern ich darauf.
Bei diesem Anblick macht es die Sache auch nicht besser.
Im Normalfall habe ich großes Vertrauen in die Dichtungen meines Krempels und leere zu Vorführungszwecken auch gerne ein Glas Wasser darüber. Einen solchen Sturz würde ich jetzt aber nicht wiederholen wollen. Da nichts anderes als gefrorenes Wasser vorhanden ist, wische ich damit den Schlamm ab und drehe sicherheitshalber um. Am Parkplatz angekommen setze ich mich an einen Aussichtspunkt und lasse das lädierte Stück Technik in der Sonne trocknen.

Am nächsten Morgen frühstücke ich an einer Klippe und genieße ein letztes Mal den Blick über den Canyon. Genüsslich nuckle ich an meinem Cappuccino to-go, der vermutlich mehr Zucker als Kaffee enthält und beiße in meinen Schokomuffin, der zur Hälfte aus Fett besteht. Völlig egal, denn bei einem solchen Ausblick schmeckt alles köstlich.
Nachdem ich genug Energie für die nächsten zwei Tage zu mir genommen habe, mache ich mich auf Richtung Vegas. Wehmütig.

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